15. Juli 2025

Freiwirtschaft

Die Freiwirtschaft ist ein Wirtschaftsmodell, das von Silvio Gesell, einem deutsch-argentinischen Kaufmann, Landwirt und volkswirtschaftlichen Autodidakten, im Wesentlichen zwischen 1891 und 1916 entwickelt worden ist. Anlass seiner drei ersten Schriften, die sich noch ausschließlich mit einer Geldreform beschäftigten, war eine argentinische Wirtschaftskrise um 1890. Anfang des 20. Jahrhunderts forderte Gesell neben einer Währungsreform auch eine Bodenreform. Im Titel seines 1916 erschienenen Hauptwerks heißt es deshalb: Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld.

Unter Freiland wird in der Freiwirtschaft der friedlich in öffentliches Eigentum überführte Boden verstanden. Die Nutzung des Freilandes bleibt jedoch gegen Zahlung einer Pacht in privater oder genossenschaftlicher Regie. Aus der Pacht sollen zunächst die ehemaligen Eigentümer angemessen entschädigt werden. Ist das geschehen, fließt die Pacht – gewissermaßen als abgeschöpfte Bodenrente – der Allgemeinheit zu. Die Umsetzung der Idee des Freilandes ist eine Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der Idee des Freigeldes.

Mit Freigeld bezeichnet die Natürliche Wirtschaftsordnung ein Zahlungsmittel, das (wie die Ware) einem Wertverfall unterworfen ist und damit unter Umlaufzwang steht. Der Besitzer von Freigeld kann jedoch der Entwertung entgehen, wenn er die Hortung des Zahlungsmittels vermeidet, es also entweder gegen Ware eintauscht, verleiht oder auf einem Bankkonto (längerfristig) festlegt. Man bezeichnet das Freigeld, das nach Auffassung Gesells zu sinkenden Zinsen, eventuell sogar zu Negativzinsen und im Endeffekt zu einem Nullzinsniveau führt, auch als rostende Banknoten, Fließendes Geld oder Schwundgeld. Freiwirtschaftliche Geldexperimente, auf die sich auch die modernen Komplementärwährungen berufen, fanden Ende der 1920er / Anfang der 1930er Jahre in Deutschland, Österreich und in den Vereinigten Staaten statt. Auch gab es eine Reihe von Versuchen, die Gesellschen Freiland-Ideen umzusetzen. Träger dieser Experimente waren vor allem verschiedene genossenschaftlich organisierte Siedlungsprojekte.

Ideengeschichtliche Beziehungen der Natürlichen Wirtschaftsordnung bestehen zur Physiokratie François Quesnays (1694–1774), zur sogenannten „Eigennutzethik“ Max Stirners (1806–1856), zum solidarischen Anarchismus Pierre-Joseph Proudhons (1809–1865) sowie zu den Bodenreformern des 19. und 20. Jahrhunderts. Unter Letzteren ist besonders Michael Flürscheim zu nennen.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts findet die Natürliche Wirtschaftsordnung neue Aufmerksamkeit. Gründe dafür sind unter anderem die Entstehung von Regionalwährungen, die Weltwirtschaftskrise ab 2007, die Eurokrise ab 2010 sowie die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank.

Der Begriff Freiwirtschaft geht auf Silvio Gesell zurück. Er bezeichnete damit eine Art Vorstufe seiner Natürlichen Wirtschaftsordnung. Das eigentliche Ziel war die Errichtung einer Physiokratie (=Naturherrschaft). Damit verwiesen Gesell sowie seine frühen Anhänger Georg Blumenthal und Hans Timm auf François Quesnay, verbanden dessen Ideen jedoch zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit anarchistischem und freiwirtschaftlichem Gedankengut. Anhänger Gesells bezeichneten sich in der ersten Phase der Freiwirtschaftsbewegung als Physiokraten (auch Fysiokraten, Fisiokraten). Martin Hoffmann, ein junger Theologe und ebenfalls früher Anhänger Gesells, unterschied Mitte der 1920er Jahre mit den genannten Begriffen zwei Strömungen innerhalb der Gesellschen Bewegung: die bürgerlichen Freiwirtschaftler auf der einen und die proletarischen Physiokraten auf der anderen Seite. Seit den 1930er Jahren bezeichnen sich Vertreter der Gesellschen Ideen als Freiwirtschaftler, Freiwirte und/oder Gesellianer. Neuerdings tauchen auch die Begriffe Humanwirtschaft und Fairconomy auf. Hauptziel der Freiwirtschaft ist eine stabile, sozial gerechte Marktwirtschaft. In einem freiwirtschaftlich organisierten Wirtschaftssystem sollen Produktion und Konsum über den Markt vermittelt werden (Marktwirtschaft). Private oder öffentliche Unternehmen tragen das geschäftliche Risiko und erwirtschaften mit dem Kapitaleinsatz eine gewinnabhängige Rendite. Das Geldvermögen ist mit einem Negativzins belegt, wodurch es als „umlaufgesichert“ gilt. Damit soll die Umlaufgeschwindigkeit des Freigelds erhöht werden, wodurch genügend Mittel für Investitionen bereitstünden. Mit dem Freigeld würde sogar ein Absinken des allgemeinen Marktzinsniveaus auf 0 % (oder gar darunter) erlaubt. Gleichzeitig sollen mittels der Freilandreform die gegenleistungslosen Einkommen, die durch Landbesitz entstehen und sich systemisch nicht eliminieren lassen, an die Allgemeinheit abgeführt und vergesellschaftet werden.

Die Reformforderungen der vor allem in den 1920er Jahren im deutschsprachigen Raum großgewordenen Freiwirtschaftsbewegung werden oft mit „F.F.F.“ zusammengefasst: Freigeld, Freiland, Festwährung.

Hauptforderungen dieser Geldpolitik sind:

Einführung einer umlaufgesicherten Währung, Abschaffung des Goldstandards

Silvio Gesell forderte die Abschaffung der bis dahin weltweit verbreiteten Golddeckung, weil nur eine begrenzte Menge Gold für den Geldkreislauf zur Verfügung stehe, während eine Wirtschaft beinahe unbegrenzt wachsen könne. Goldmangel könne deflationäre Zustände verursachen, Goldüberschuss könne destabilisierende Inflation zur Folge haben.

In der freiwirtschaftlichen Theorie ist das grundsätzliche Problem des Geldes das der fehlenden Lagerkosten. Alles in der Natur unterliege dem rhythmischen Wechsel von Werden und Vergehen, nur das Geld scheine der Vergänglichkeit alles Irdischen entzogen.

Zwei Ansätze gibt es, um dies zu verdeutlichen: Der Gesellsche Ansatz basiert auf der Analyse von Pierre-Joseph Proudhon, welche besagt, dass der Geldbesitzer gegenüber dem Besitzer bzw. Anbieter von Waren, Produkten, Dienstleistungen sowie Arbeitskraft einen entscheidenden Vorteil besitzen würde: Durch das Lagern von Waren, Produkten und Dienstleistungen entstünden laufende Kosten, bei Geld aber nicht. Dadurch würde der Geldbesitzer (die Nachfrage) einen systemischen Vorteil gegenüber dem Angebot erhalten, was dazu führen würde, dass Geld teurer verkauft würde als Waren. Diesen zusätzlichen Wert definierte Gesell als den „Urzins“, dessen Höhe er auf jährlich 4–5 Prozent schätzte.

Investitionen würden seiner Meinung nach nicht getätigt, läge der allgemeine Marktzins unter drei Prozent. Stattdessen würde es als liquides Mittel gehalten und gemäß Gesell zu Spekulationszwecken verwendet. Aus Perspektive der Anleger entstünde der Anlagenotstand, aus Perspektive der Unternehmer entstünde der Eindruck der Kapitalknappheit. Deflation und Spekulationsblasen wären erfahrungsgemäß die Folgen solcher Situationen.

Als Gegenmittel dazu bietet Gesell die Umlaufsicherung an, welche sicherstellen soll, dass weiterhin das mit negativem Zins belegte Geld investiert würde. Die Umlaufsicherung soll sich deshalb wie eine Steuer auf Liquidität auswirken, um die Umlaufgeschwindigkeit zu steuern. Dadurch soll – nach freiwirtschaftlicher Annahme – Vollbeschäftigung, vergleichbar mit einer permanenten Hochkonjunktur eintreten, wodurch die Löhne stiegen, während gleichzeitig die Preise real fallen würden.

Ein derartiges „Freigeld“ erfüllt nicht die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes. Manchmal wird auch der von Otto Heyn geprägte Begriff Schwundgeld genannt, der von Kritikern gelegentlich abwertend benutzt wird.

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